Gründen zum Volkssport machen
Von Entrepreneurship Campus
Deutschland wäre keine große Fußballnation, wenn nur ein paar Profifußballer gefördert würden. Talente in ausreichender Zahl entstehen, weil Fußball zum Volkssport geworden ist. Übertragen auf das Gründerthema heißt das: Wenn man viele erfolgreiche Entrepreneure haben will, muss man aus einem großen Reservoir schöpfen können.
Entrepreneurship ist keine Geheimwissenschaft für Eingeweihte. Haben wir heute nicht das Wissen, das Thema Gründen ganz anders anzugehen als wir es aus der Vergangenheit kennen? Steht uns Wissen nicht mit kurzem Zugriff zur Verfügung? Und stehen uns heute nicht auch Mittel zur Verfügung wie nie zuvor?
Es ist an der Zeit, das Thema Entrepreneurship zu ent-heroisieren.
Gründern wird suggeriert, sie müssten Alleskönner sein, sich im Rechnungswesen, in der Finanzierung gleichermaßen auskennen wie mit Management, Marketing, Personalfragen, Arbeitsrecht, Vertragsrecht oder Steuerrecht. Mit Banken sollen sie verhandeln können, mit Kunden und mit Lieferanten. Die Mitarbeiter sollen sie führen und die Öffentlichkeitsarbeit leiten. Die Bilanz müssten sie verstehen und auch das Controlling.
Alle diese Anforderungen im eigenen Startup erfüllen zu wollen, ist eine unrealistische, antiquierte Vorstellung. Moderne Gesellschaften sind hoch arbeitsteilig und dies sollten wir nutzen – auch und gerade beim Gründen.
Gründen mit Komponenten
Eine arbeitsteilige Gesellschaft bringt spezialisierte Dienstleistungen hervor, die man als Bausteine in der Gründung einsetzen kann. So lassen sich ganze Teile eines Unternehmens aus vorhandenen Komponenten zusammensetzen. Büroleistungen, Buchhaltung, Verpacken und Versenden sind Beispiele dafür. Ein Onlineshop enthält diese Komponenten heute fast schon als Standard. Die Vorteile, mit professionellen Dienstleistern zu arbeiten, sind enorm. Statt zum überlasteten und überforderten Selbständigen zu werden, ermöglichen solche Dienstleistungen dem Gründer, sich auf seine Hauptaufgabe zu konzentrieren: die Führung seines Unternehmens. Er muss den Horizont im Auge behalten, muss neue Marktentwicklungen frühzeitig erkennen, statt in Tagesroutinen aufgerieben zu werden.
Mit dem Einsatz von Komponenten sind weniger eigene Investitionen erforderlich. Damit entfällt zeitraubende und arbeitsaufwändige Suche nach Kapitalgebern. Variable Kosten treten nur auf, wenn auch wirklich Aufträge eingehen. Finanzierungsaufwand und Risiken reduzieren sich damit ganz erheblich. Der Gründer arbeitet professionell – und das von Anbeginn an, statt als Laie mit Halbwissen zu operieren. Im Vergleich zur konventionellen Vorgehensweise können Gründungen damit rascher und von Normalmenschen leistbar erfolgen. „Gründen aus Komponenten“ eröffnet so breiteren Bevölkerungsschichten die Chance, am Wirtschaftsleben aktiv teilzuhaben.
Gründer als Change Agents
Wir stehen vor Bergen von Problemen: dem Klimawandel etwa, der demographischen Entwicklung und drohenden Altersarmut, der Flüchtlingsproblematik oder der Verschärfung der Einkommens- und Vermögensungleichheit. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Wir befinden uns im Wettlauf mit der Zeit, bevor das Ausmaß dieser Problemlagen unsere Handlungsmöglichkeiten übersteigt. Unsere Gesellschaft braucht Innovationen. Nicht nur Innovationen aus ökonomischen Kalkül, sondern gerade auch solche ökologischer und sozialer Natur. Ist es nicht naheliegend, das Potenzial von Entrepreneurship mit zur Lösung dieser Probleme zu nutzen?
Diversity drives innovation
Europa verfügt über eine einzigartige Vielfalt an Kulturen. Und wir wissen: Innovation entsteht in der Regel aus Vielfalt. Es sind die unterschiedlichen Sichtachsen und Werte, die verschiedenen Lebensstile und Interessen, die zu neuen Einsichten und Kombinationen führen. Diversity drives innovation.
Es gibt höchst erfolgreiche Gründungen konzept-kreativer Art: Innovation bedeutet beim Gründen ja vor allem die Neukombination von Wissen und Technologie. Gerade dies macht erfolgreiches Entrepreneurship aus. Es ist ein Punkt, den wir viel zu wenig beachten und ausspielen. Wir müssen nicht Silicon Valley kopieren, wenn es um Innovationen geht.
Wer nur Kapital als Engpass sieht, unterschätzt das Potential konzept-kreativer Gründungen. „Wir hatten kein Geld, also mussten wir kreativ sein“ sagt Richard Branson - immerhin einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Gründer.
Man muss nicht sein Leben, seine Haltung, seine Überzeugungen ändern, um Entrepreneur zu werden. Es reicht, zu erkennen, dass Entrepreneurship heute fast jedem Menschen zugänglich geworden ist und dass man ein Unternehmen gründen und betreiben kann, ohne eine Mischung aus antikem Feldherrn, Finanz-Genie und Showmaster sein zu müssen. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern verfügt oft über mehr praktisches Organisationstalent als mancher Master of Business Administration. Sie wird kein Großunternehmen managen können – etwas, wofür die BWL geschaffen wurde. Aber für eine einfache, überschaubare Gründung reicht es.
Was wirklich helfen würde
Wir sollten Gründer beim Start von bürokratischen Auflagen freizustellen. Zumindest einmal im Leben sollte man Menschen die Chance geben, für eine begrenzte Zeit, z.B. ein Jahr, unternehmerisch zu experimentieren. In diesem Jahr könnten wir Gründer von den strengen Auflagen der Arbeitsstättenaufsicht und anderen bürokratischen Hindernissen befreien. Nicht zufällig gibt es den Ausdruck Garagengründung.
Gewähren wir Gründern ein Jahr Bürokratiefreiheit!
Können denn alle Unternehmer werden?
Ja, und viele Menschen sind es im Grunde längst. Wir unternehmen vieles, wir benennen es nur nicht so. Weil es wie selbstverständlich passiert, weil wir es meist Freizeit nennen, weil wir zwischen „etwas unternehmen“ und „Unternehmen“ eine hohe Schwelle zu erkennen glauben. Eine Schwelle, die sich bei genauerer Betrachtung und dem Einsatz von Komponenten als deutlich niedriger erweist.
Was wollen wir unternehmen? Was ist uns wichtig? Was bewegt uns so, dass wir es hoch motiviert und mit Leidenschaft unternehmen? Dies im Kern ist die Energie, die Voraussetzung, die wir zum Gründen brauchen.
Eine Kultur des Unternehmerischen, die für viel mehr Menschen offen ist, als wir es uns heute vorstellen können. Aktive Mitwirkung auf dem Feld der Ökonomie, verstanden als unternehmerische Partizipation und prinzipiell zugänglich für alle Mitglieder der Gesellschaft. Citizen Entrepreneurship, so könnte man es nennen, als Freisetzung ökonomischen Potenzials, als Freisetzung von Kreativität. Mehr Entrepreneure bringen neue Gedanken, neue Konzepte, mehr Möglichkeiten, mehr Lösungen. Positiver Wettbewerb, mehr Wettstreit der Köpfe, macht Wirtschaft und Gesellschaft facettenreicher – und erhöht das Spektrum zukunftsfähiger Alternativen.
Zugegeben – Entrepreneurship als Volkssport klingt wie eine Utopie.
Aber es ist zum Greifen nahe.
Einen Kommentar verfassen
Du kannst nicht als Gast kommentieren, hast du bereits ein Campus-Profil? Hier einloggen.